Leidenschaft für Briefe - Ausstellungsarchiv
Deutsch-chinesische Korrespondenzen
Die Beziehungen der DDR zur Volksrepublik China waren wechselhaft, geprägt von politischer Nähe und ideologischen Differenzen im Schatten der Sowjetunion. Doch gerade von chinesischer Seite gab es eine Suche nach Kontinuität, personifiziert durch den Handelsgesandten Wu Derong an der chinesischen Botschaft in Ostberlin, der von den 1950er bis in die späten 1980er Jahre wiederholt dorthin entsandt wurde. Ein früher Brief an seine Frau ist sehr persönlicher Natur, während ein späteres Schreiben eines deutschen Ingenieurs vom erwachten kommerziellen und kulturellen Austausch zeugt. In die 1950er Jahre fällt auch die Gastprofessur von Zhao Ruihong, der seinen jungen Kindern aus Leipzig schrieb, bis sich die Familie schließlich hier zusammenfand. Zur gleichen Zeit begann Zhu Fuxiao in Peking ihr Germanistikstudium und berichtete ihrem Vater wöchentlich von den Strapazen der Ausbildung zur Dolmetscherin vor dem Hintergrund der Spannungen im revolutionären China.
Die Briefe sind reich an Facetten im Gebrauch von Schrift und Sprache, je nach Alter und Bildung der Schreibenden und ihrer Adressaten: offizielle und politisch sorgfältig bemessene Register gegenüber Genossen, emotionale Töne in den Briefen an die Ehefrau oder die Kinder in der Ferne. Jedes Schriftstück gibt Einblicke in den Alltag und die Gedankenwelt der Briefeschreiber – und viel mehr noch schwebt zwischen den Zeilen.
1955 Wu Derong 吴德融 an seine Ehefrau
Familienbande
In Zeiten von Kurznachrichten, Whatsapps und Emoji-Sprachen, die nur flüchtige Gedanken transportieren, sind handgeschriebene Briefe wohlbedacht und überdauern ihre Zeit. Bei Thomas Mann waren Briefe nicht nur ein literarisches Mittel, er bezeichnete das Briefeschreiben als „eine der wichtigsten menschlichen Verrichtungen“. Diese Sektion hebt die innigen und oft komplexen Beziehungen zwischen Familienmitgliedern hervor, die durch die Umwälzungen in China stark strapaziert wurden. Prägnant sind etwa die Briefe von Han Yalan, die in den 1930er Jahren aus Yan'an an ihre Eltern schrieb. In ihnen erläutert sie ihre Motivation, sich dem Widerstand gegen die japanische Besatzung anzuschließen und sich für Frauenrechte einzusetzen. Sie reflektiert über die Sorgen ihrer Eltern um ihre Sicherheit sowie ihre eigenen Ideale.
Ebenso eindrucksvoll ist die Korrespondenz von Wu Yuzhang, einem Revolutionär und Pädagogen, der im Jahr 1960 aus Peking an seine Enkelkinder schrieb. Hier teilt er seine Hoffnung und Sorge um sein Land und um die zukünftigen Generationen. Mit den Worten „Sorge zuerst um die Sorgen des Landes, Freude kommt erst danach“ verdeutlicht Wu seine Überzeugung, dass persönliches Glück im Dienst der Gesellschaft stehen sollte.
Diese persönlichen Zeugnisse erlauben Einblicke in die Sorgen und Hoffnungen der Briefeschreiber, geprägt von dem Bedürfnis, ihren Adressaten diese Gedanken und ihre Hintergründe näherzubringen. In anderen mischt sich Sorge der Eltern mit Ermahnungen und gutgemeintem Rat vom Vater an den Sohn: „Der Brief Deines Vaters darf nicht ignoriert oder vernachlässigt werden!“
1906 ein Vater an seinen Sohn Hao Wengui 郝文贵
1929 Gong Jue 龚珏 an Eltern und jüngere Schwester
1960 Wu Yuzhang 吴玉章 an Enkelkinder
1969 Zhang Xiaohong 张小虹 an Eltern und jüngeren Bruder
1991 Zhuang Yan 庄严 an seine Tochter Zhuang Xiaoyu 庄小羽
Künstler und Gelehrte
Die Sammlung der Renmin-Universität zeichnet sich durch ihre erstaunliche Breite aus und ist dadurch für Historiker von besonders großem Wert. Sie versammelt schriftliche Dialoge von Alumni und ihren Bekannten und Familien, die sich über Jahrzehnte erstrecken. Doch fehlen auch die Korrespondenzen eminenter Gelehrter und Künstler nicht, deren Briefe Einblicke in die intellektuellen und künstlerischen Diskurse Chinas bieten.
Hier finden sich etwa Briefe des Philosophen und Reformers Hu Shi und Liang Qichao, einem der führenden Denker des modernen China. In einem Brief von 1920 diskutieren Liang und Hu klassische Poesie und literarische Kreativität. Ihre Briefe spiegeln die intensiven ideologischen und ästhetischen Debatten ihrer Zeit wider.
Ein weiteres Beispiel ist die Korrespondenz zwischen Chen Duxiu und Hu Shi aus demselben Jahr. Chen, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Chinas, schreibt an Hu über die Zukunft der Zeitschrift Neue Jugend und die Ausrichtung ihrer redaktionellen Linie. Diese Briefe dokumentieren die intellektuelle Spaltung zwischen den beiden und symbolisieren einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung Chinas.
Hierher gehören auch die ästhetischen Schätze der Sammlung: die kunstvollen Kalligrafien von Su Zhichun an seinen Bruder stehen für die Verbindung von Kunst und Kommunikation. Diese Briefe und Kalligrafien illustrieren die Spannbreite intellektueller, künstlerischer und persönlicher Beziehungen, sie eröffnen einen lebendigen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zeigen die vielfältigen Ausdrucksformen des handschriftlichen Briefverkehrs, der im 21. Jahrhundert weitgehend verloren gegangen ist.
1920 Chen Duxiu 陈独秀 an Hu Shi 胡适
1920 Liang Qichao 梁启超 an Hu Shi 胡适
1948 Ji Yitao 季怡陶 an seinen Neffen Ji Xianlin 季羡林